Getreide - ist das nun gesund oder nicht?

Gerste

Die Ayurvedische Perspektive auf Getreide und gluten

Getreide und vor allem die glutenhaltigen Sorten haben einen sehr schlechten Ruf bekommen in den letzten Jahren. Gluten wird für viele verschiedene Symptome verantwortlich gemacht, darunter Übergewicht, Verdauungsbeschwerden wie Blähungen, Durchfall oder Übelkeit, und weitreichendere Pathologien wie Kopfschmerzen, Erschöpfung und Hautkrankheiten. Sind dies Gründe genug für Dich, Deinen Getreide- bzw. Glutenkonsum zu verringern oder sogar ganz und gar auf glutenfreie Lebensmittel zu setzen?

Die ayurvedische Perspektive auf Lebensmittelintoleranzen

Der Ayurveda gibt eine erfrischende und vor allem ganzheitliche Antwort auf die Frage der Glutenunverträglichkeit. Wie so oft stellen westliche Ansätze nur die Reizstoffe - in diesem Falle Gluten - als “böse” dar und machen diese für die oben genannten Pathologien verantwortlich. Diese Ansicht betrachtet aber nur eine Hälfte der Gleichung. Der Ayurveda hingegen untersucht ebenfalls den Zustand Deiner Verdauugskraft (Agni) und stellt die Frage, warum Du unter Umständen bei der Assimilation von Gluten hast. Ist Dein Agni schwach, kannst Du folglich auch glutenhaltige Getreide wie Weizen oder Dinkel nur unzureichend verdauen und es kann bei Dir zu einigen der oben genannten Beschwerden kommen. Der westliche Ansatz, Gluten aus dem Speiseplan zu verdammen, wird in diesem Fall so wie bei vielen Klienten zu einer vorzeitigen Besserung der Symptome führen. Erfolgt aber gleichzeitig keine Agni-Korrektur, ist das eigentliche Problem nicht gelöst. Der Ayurveda betrachtet Gluten- und Lebensmittelintoleranzen also aus der ganzheitlichen Perspektive, in der sowohl die Eigenschaften der Reizstoffe als auch das System, auf das sie treffen (hier der Verdauungstrakt) untersucht werden.

Wer sollte nun Gluten essen - und wer besser nicht?

Getreide nehmen im Ayurveda einen wichtigen Stellenwert in der Ernährung ein. Vor allem die glutenhaltigen unter ihnen gelten als brmhana (nährend) und sind dafür exzellent für Dich geeignet, solltest Du ein zu hohes Vata haben. Darüber hinaus stärken Getreide alle Gewebe und führen zur Bildung von Ojas (Immunkraft). Außerdem sollte der süße Geschmack (Madhura Rasa) in jeder Deiner Mahlzeiten vertreten sein, damit Du Dich auf allen Ebenen genährt fühlst. Isst Du zum Beispiel zu wenig des süßen Geschmacks, kann dies am Ende des Tages ein Grund sein, warum Du Heißhunger auf Süßigkeiten bekommst - denn im Endeffekt fordert Dein Körper in diesem Moment nur das, was er vorher zu wenig bekommen hat. Getreide sollten also sogar für Menschen mit Kapha-Tendenzen ein wichtiger Bestandteil der täglichen Ernährung sein.

Auf der anderen Seite gibt es klare Kontraindikationen für den Konsum glutenhaltiger Getreide. Diese Kontraindikationen sind aber allesamt in der Heildiätetik lokalisiert und beziehen sich auf bereits weit manifestierte Pathologien wie Krankheiten im rheumatischen Formenkreis oder einige Autoimmunkrankheiten wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Auch bei anderen Darmkrankheiten solltest Du Gluten vermeiden. Eine weitere Kontraindikation ist zu hohes Kapha. Hier darfst Du aber auf glutenfreie Getreide wie Hirse oder Quinoa umsteigen, die leichte und trocknende Qualitäten haben. Rote Hirse ist aufgrund ihrer trocknenden Eigenschaften z.B. exzellent bei Diabetits (Prameha). Letztlich kann es natürlich bei einer schwachen (Mandagni) oder schwankenden Verdauung (Vishamagni) zur unzureichenden Verdauung von glutenhaltigem Getreide kommen mit der Folge der Ama-Bildung.

Für eine vollwertige Präventivdiät ist es definitiv empfehlenswert für Dich, Getreide in Deinen Speiseplan einzubauen. Solltest Du Verdauungsbeschwerden haben, empfehle ich Dir gegebenenfalls in der Begleitung eines Arztes, Heilpraktikers oder Ernährungsberaters, deinen Glutenkonsum einzuschränken, aber natürlich gleichzeitig Deine Verdauungskraft zu stärken.

Ein paar weitere Tipps für Deinen Getreidekonsum:

  1. Setze bei der Auswahl auf Qualität. Wähle z.B. regionale Urgetreide wie Emmer oder Einkorn, die im Gegensatz zum hochgezüchteten Weizen weitaus weniger beschwerlich für Deine Verdauung sind. Diversifiziere Deine Auswahl und greife zu vielen verschiedenen Getreidesorten.

  2. Stärke Deine Verdauungskraft. Wie genau Deine Verdauungskraft zu stärken ist, hängt natürlich ganz von Deiner individuellen Situation ab und ob Du eine schwankende (tendenziell bei Vata), eine schwache (bei Kapha) oder vielleicht sogar eine zu starke (Pitta-) Verdauung hast. Ein paar allgemeine Tipps für eine starke Verdauung sind unter anderem, dass Du erst isst, wenn Du Deine vorherige Mahlzeit vollständig verdaut hast. Auch zu viel Kaltes, Rohes oder Schweres kann Dein Verdauungsfeuer dämpfen. Der Ayurveda bietet darüber hinaus eine Vielzahl verdauungsstärkender Phytopräparate, darunter z.B. Trikatu, Hingwashtak, Triphala oder unser geliebter Zingiber officinale (Ingwer). Konsultiere am Besten Deinen Therapeuten, welches Präparat am Besten für Dich geeignet ist.

  3. Gut gekaut ist halb verdaut. Meine Klienten*innen hören mich immer wieder predigen, langsam zu essen und gut zu kauen. Nebst vieler weiterer Vorteile beginnen Enzyme in Deinem Mund schon mit der Verdauung (Bodhaka Kapha) und machen dadurch den Job für Deinen Darm um einiges leichter.

  4. Und zu guter letzt: Entspann Dich und probiere für Dich selbst aus. Letztlich ist die beste Erfahrung die Selbsterfahrung. Schaue für Dich selbst wie der Getreidekonsum auf Dein System wirkt und stärke Deine eigene achtsame Körperwahrnehmung.

Mit den besten Wünschen für Deine Gesundheit!

Annemarie Giordano